Gespräch, Gespräch / Interview

Gözdem Gürbüzatik

Gözdem Gürbüzatik

Wir setzen unsere Serie fort, in der wir Interviews mit Profis aus der Weinbranche führen. Dieses Mal haben wir uns mit Frau Gözdem Gürbüzatik, die seit 2004 Kayra Weine, die Geschäftssparte ‘Wein’ bei Mey İçki leitet, über ihre Leidenschaft für Wein und Ihren Werdegang unterhalten.

www.keyifnotlari.com : Frau Gürbüzatik, Sie sind schon lange in der Weinbranche. Wie sind Sie mit Wein in Berührung gekommen? Können Sie sich an den ersten Wein erinnern, den Sie getrunken haben?

Gözdem Gürbüzatik: Meine ersten Berührungspunkte mit Wein liegen ziemlich weit zurück; nämlich in meiner Kindheit. Aber erst 2004 habe ich angefangen, bei Mey İçki und in der Weinbranche zu arbeiten. Ich kann mich nicht richtig an den ersten Wein erinnern, den ich getrunken habe, aber da ich meine Kindheit und meine Jugend in Ankara verbracht habe, kann ich sagen, dass mein erster Wein wahrscheinlich von Kavaklıdere oder von AOÇ (Notiz von Weinatolien: Atatürk Orman Çiftliği/Atatürk Wald-Farm. Siehe Wikipedia.) war. Dass ich mich mit Wein befasst habe, kam ganz natürlich durch meine Neugier. Ich bin in einer Familie groß geworden, in der gerne gegessen wurde und beinahe den ganzen Tag über Essen gesprochen werden konnte. Dass Weine unterschiedlich sind und die Weinwelt besonders ist, habe ich in sehr jungen Jahren entdeckt. Hinsichtlich der Weine, die ich in meiner Studentenzeit kaufen konnte, war ich natürlich begrenzt. Aber sogar damals haben wir gespart, um gute Weine zu kaufen. Ich kann mich an den portugiesischen Tafelwein Matheus erinnern, den wir gerne getrunken haben, als ich mein Studium in England fortgesetzt habe. Ich weiß auch noch, dass ich damals ausschließlich Rotweine getrunken habe.

Wie haben Sie sich entschieden, in der Weinbranche Karriere zu machen? Können Sie uns kurz Ihren professionellen Weg in der Weinbranche schildern?
Ich habe mich nicht bewusst entschieden. Der Wein hat
 mich – im wahrsten Sinne des Wortes – in seinen Bann und seinen Wirbel gezogen und mich dazu gebracht, in der Weinbranche zu arbeiten… Meine ersten Berufserfahrungen waren im Bereich Marketing in diversen internationalen Unternehmen. Und in komplett anderen Branchen als der Weinbranche. Ich bin 2004 bei Mey İçki eingestiegen, als es gerade gegründet wurde. Wie gesagt hatte ich immer ein großes Interesse an der Gastronomie, der lokalen Küche, neuen und guten Produkten. Als ich bei Mey İçki angefangen habe, war ich an vielen Projekten rund um die unterschiedlichen alkoholischen Getränke im Sortiment beteiligt. Es war eine Phase unglaublicher Kreativität und Entwicklung… Danach waren die Kategorien Likör, Bier und Wein mein Arbeitsbereich. Wir haben in diesen Kategorien viele Marken entwickelt. Aber mit der Zeit hat der Wein mich vor allen anderen Bereichen fast komplett in Beschlag genommen. Der Arbeitsbereich ‘Wein’ in unserem Unternehmen hat eine Matrix-Struktur: Als ich am Anfang nur für das Marketing von Wein zuständig war, bin ich im Laufe der Jahre neben dem Marketing auch verantwortlich für die Bereiche Produktion und Vertrieb geworden. Seit 2011 bin ich in dieser Position. Von WSET habe ich Advanced- und Educator-Zertifikate. Wie bereits erwähnt, arbeite ich in der Weinbranche, da mich der Wein in seinen Bann gezogen hat. Wenn es um das Produkt ‘Wein’ und seine Vermarktung geht, ist es unmöglich, nur im Büro zu sitzen und vom Büro aus etwas zu generieren. Sie müssen sich auf den Weg zu der Geschichte des Weins begeben. Deshalb bin ich von einem Weinberg zum anderen; zu den Winzern gereist. Ich habe viel Zeit in den Weinkellern und auf den Weingütern verbracht. Ich habe an Weinproben teilgenommen. Ich habe viel zugehört. Winzer sind Menschen mit großem Ego. Am Anfang habe ich ihnen wahrscheinlich Kopfschmerzen verursacht. Aber durch Fragen und Zuhören konnte ich die gesamte Geschichte des Weins verstehen, und dadurch konnten wir gemeinsam in vielen Bereichen sehr gute Ergebnisse erzielen.

 

Zweifellos haben die Weine des Weingutes, in dem Sie Ihre Karriere gestartet haben, einen besonderen Platz. Abgesehen von diesen Weinen, an denen Sie mitgewirkt haben; welche Weine und Regionen gefallen Ihnen am meisten?
Ja, Sie haben Recht. Kayra ist wie mein Kind. Wenn ich an die Zeit vom Anfang bis heute denke, haben die Weine von Kayra für mich einen besonderen Platz. Aber einen bestimmten Wein auszuwählen ist für mich wie ein bestimmtes Buch aus der prächtigsten und größten Bibliothek auszuwählen, in der es so viele schöne Bücher gibt. Alle Weine haben einen anderen, besonderen Wert. Riesling ist sehr besonders für mich. Ich denke, dass der Charakter dieser Rebsorte in vielerlei Hinsicht zu meinem Charakter passt. Cote du Rhone ist eine Region, die ich mag. Sonst mag ich auch die unterschiedlichen Weine aus Shiraz oder Öküzgözü. Aber als Rebsorte habe ich keinen Favorit. Champagne ist für mich unverzichtbar. Auch Tokai hat einen besonderen Stellenwert für mich. Weiterhin kann ich sagen, dass man die Facetten eines Weines am besten dann erlebt, wenn man das Terroir besucht und den lokalen Wein auch genau dort verkostet. In dem sogenannten ‘Nase-Gaumen-Gedächtnis’-Dreieckt hinterlassen die in dieser Art probierten Weine eine andere Spur. Diesbezüglich kann ich sagen, dass mir die Weine aus Sizilien und Südafrika, wo ich neulich war, sehr positiv aufgefallen sind. Sie haben eine Frage gestellt, die ich mit hunderten von Seiten beantworten könnte…

Gab es Schwierigkeiten in der Weinbranche, die Sie persönlich erleben mussten? Was empfehlen Sie denjenigen, die in dieser Branche arbeiten möchten?
 Die Weinbranche ist sehr schwierig. Ein kleines oder mittelgroßes Familienweingut zu haben, ist schon mit einem gewissen Charme verbunden, aber es ist recht schwierig, nachhaltig und langfristig Wirtschaftlichkeit zu erreichen oder einen sozialen Effekt zu generieren. Außerdem kann man Wein – im Gegensatz zu anderen alkoholischen Getränken – nur einmal im Jahr produzieren. Dabei muss man auch noch die Stilistik des Weines und die Produktionsmenge, kurzfristig sowie für die nächsten 3-4 Jahre, berücksichtigen. Man braucht ein gutes Zeitgefühl. Menschen, die in diese Branche einsteigen, müssen sich in einem Business zurechtfinden, in dem sie sich in einer sich sehr schnell wandelnden Welt mit einem rapiden Trendwechsel sowie dem weltweit harten Wettbewerb an den relativ langsamen Rhythmus der Natur anpassen müssen. Wenn die persönlichen Interessen der Berufseinsteiger angesprochen werden sollen: Man muss den Wein sowie die Gastronomie vom Herzen lieben. Neugier, kontinuierliches Lernen sowie Offenheit für neue Entdeckungen sind auch unerlässlich.

In Ihrem langjährigen Berufsleben haben Sie sicherlich viele Erfahrungen gesammelt, die Sie nicht vergessen konnten. Können Sie eine dieser unvergesslichen Erfahrungen mit uns teilen?
Es waren so viele unvergessliche Momente, während wir so intensiv an neuen Weinen oder Marken gearbeitet haben; es wäre Unrecht für die anderen, wenn ich hier nur einen nennen würde… Aber einer davon ist die Phase, in der wir als Kayra den ersten Buzbağ auf den Markt gebracht haben. Wie Sie wissen, ist Buzbağ eine langjährig etablierte Marke. Nachdem wir uns neu strukturiert und unsere Weinsparte ‘Kayra’ genannt haben, wollten wir von den früheren Weinserien/-marken nur die Serie ‘Buzbağ‘ fortsetzen. Dabei wurden wir mit zwei Ansichten konfrontiert, die sich fest etabliert hatten: Einerseits fanden viele den Wein ‘legendär’, andererseits haben wir bei unseren Konsumentenumfragen gesehen, dass jede zehnte Flasche einen Fehler hatte, was die Ursache in den nicht zeitgemäßen Produktionsbedingungen des staatlichen Monopols TEKEL hatte. In den Restaurants haben wir beobachtet, dass aufgrund des schlechten Images kein Gastronom Buzbağ in seiner Weinkarte haben wollte. Als wir unser Weingut in Elazığ, das schon 1929 geplant und 1944 in Betrieb genommen worden war, besucht haben, haben wir uns dafür entschieden, das schlechte Image des Potentials der beiden großen Rebsorten Öküzgözü und Boğazkere, die in großen Mengen erstmalig in diesem Weingut vinifiziert wurden, aufzupolieren. Irgendwie ist das auch das Erbe Atatürks, weil dieses Weingut in Ostanatolien nur seinetwegen existiert.

Wir haben beschlossen, den Inhalt und die Struktur des Weins zu standardisieren, unabhängig von den Jahrgängen die gleiche Qualität anzubieten sowie das schlechte Image des Weins zu verbessern, ohne ihn dabei von seiner Geschichte zu entfremden. Dafür haben wir uns erstmal die älteren Jahrgänge angeschaut und einen komplett neuen Prozess gestartet. Um das Image der älteren Jahrgänge von Buzbağ loszuwerden, haben wir ein modernes Konzept entworfen. Dieses Konzept basierte auf der Verpackung, die die Identitäten der Zivilisationen enthielt, die in Anatolien gelebt hatten. Dafür haben wir ein in der Türkei bisher nicht verwendetes Flaschendesign realisiert, in dem wir das Design nicht auf dem Etikett, sondern direkt auf die Flasche gebracht haben. Das haben wir in Frankreich umsetzen müssen, da es in der Türkei damals nicht möglich war. Unsere ersten Flaschen für Buzbağ sind somit aus Frankreich gekommen und ich habe den Prozess persönlich in der Fabrik in Frankreich begleitet. Die Fabrik war in der Nähe von Lyon, und mit dem Mietwagen sollte ich durch das Burgund fahren. Während meiner Fahrt durch das Burgund habe ich einen sehr starken Kontrast erlebt. Dieser Kontrast hat sich tief in mir festgesetzt und beeinflusst seitdem mein Ziel bezüglich unserer Marken und Weinberge: Anatolien soll in der Weinwelt stark präsent sein und wir müssen dafür alles tun, was wir können.

Vor dem Hintergrund der Regulierungen in der Weinbranche: Wie sehen Sie die Zukunft der Weinbranche? 
Ich denke, dass diese Entwicklungen am stärksten die kleinen Weingüter belasten werden und zu einer deregulierteren und unkontrollierten Produktion führen können. Die Weinbranche unterscheidet sich von den Branchen anderer alkoholischer Getränke. Sie wird weltweit sowohl im Rahmen des Gastro-Tourismus als auch der ‘Weingut-Traubenproduzent’-Beziehungen unterstützt, weil Lokalität/Regionalität im Vordergrund steht. Mit Mikro-Produktionen wird Mehrwert generiert und somit wird zur Wirtschaft der jeweiligen Region beigetragen. Viele Länder generieren mit ihren Weinproduktionen Mehrwert für die Weltwirtschaft. Das wird von Staat, Universitäten und Erzeugern unterstützt. Diese Bedingungen sind bei uns leider nicht vorhanden. Aber wir arbeiten trotzdem daran, das türkische Terroir (also Thrakien und Anatolien) und unsere Weine im Ausland zu bewerben und zu vermarkten. Die Weingüter setzen ihre Arbeit mit Geduld und Ausdauer fort, werden stärker und finden neue Lösungen für verschiedene Probleme. Daran arbeiten wir genauso.

Vielen Dank für Ihre Antworten, Frau Gürbüzatik! Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Ich bedanke mich. Es ist eine große Freude für mich, auf www.keyifnotlari.com sein zu dürfen.

* Die Originalversion des Interviews auf Türkisch können Sie im folgenden Link lesen: www.keyiflinotlar.com